Zurück in die Zukunft: Ein Gleis bewegt Lütjenburg
Sven Ratjens hat eine Vision. Gegen den Klimawandel. Aber nicht einfach nur freitags und auch nicht mit einem Schild auf der Straße.
Er möchte etwas Konkretes tun. Deshalb kauften er und seine Partner ein stillgelegtes Gleis und gründeten die Schienenverkehr Malente-Lütjenburg e.V. und die REAKT-Forschungsinitiative. Auf der 17 Kilometer lange Bahnstrecke zwischen Lütjenburg und Malente schaffen sie eine Spielwiese für die Zukunft, mit neuen Technologien für den Bahnverkehr, die voraussichtlich bis 2030 entwickelt und getestet werden.
In einem Interview erläutert Sven Ratjens sein Projekt und gibt Antworten auf Fragen, die mir, als Schüler des Gymnasium am Hoffmann von Fallersleben Schulzentrum, eine weitere Sichtweise hinsichtlich des allgegenwärtigen Klimawandels aufzeigen. Das Interview wird in einer gekürzten Fassung wiedergegeben.
1. Sven, kannst du mir dein Projekt in 5 Sätzen erläutern:
Das ist natürlich sehr komplex und kaum in kurze Sätze zu bringen, weil es so viele Fassetten hat. Im Wesentlichen ist es so, dass wir als Projektteam, (…wir sind ja nicht alleine, sondern mit den weiteren Wissenschaftlern die in das Projekt involviert sind), das Schienennetz ausbauen und wieder vermehrt den Schienenverkehr nutzen wollen, um von A nach B zu kommen und eine Alternative zum Autoverkehr zu haben.
Das brauchen wir in Hinblick auf den Klimawandel. Leider ist der Neubau von Eisenbahnstrecken eigentlich eine Illusion.
Früher wurde einfach eine Bahnstrecke in die Landschaft gebaut, weil ein Kaiser das beschlossen hatte und innerhalb von drei Jahren war eine Bahnstrecke dann mal da. Heute ist das nicht mehr so, sondern das sind Projekte für Jahrzehnte und deswegen haben solche Bahnstrecken wie die stillgelegte von Malente nach Lütjenburg einen enormen Wert , da sie schon erschlossen ist. Wir wollen solche stillgelegten Bahnstrecken mit modernen Techniken, also mit den technischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts bis hin zum autonomen Fahren, wieder befahren. Hierfür sollen Technologien entwickelt werden als Vorbild für viele andere Regionen in Deutschland. Das soll natürlich dann auch beispielgebend sein. Es gibt um die 400 stillgelegte Bahnstrecken, die für eine Reaktivierungen diskutiert werden und wir glauben, dass ein enormer Mehrwert geschaffen werden kann, wenn all diese Schienen befahren werden können, gerade hinsichtlich einer Verkehrswende.
2. Wie sieht es denn mit deinen Projektpartnern aus?
Wir haben unterschiedliche Kategorien von Partnern. Hier zu nennen wären die beiden Städte Malente und Lütjenburg. Vor allem die Stadt Lütjenburg hat natürlich großes Interesse, an den Bahnverkehr angeschlossen zu werden. Schönberg bekommt jetzt beispielsweise die Bahnstrecke in Richtung Kiel reaktiviert und für eine Stadt wie Lütjenburg, gerade hinsichtlich des Tourismus der Hohwachter Bucht, wäre es sehr wichtig, mit reaktiviert zu werden. Auch in Zukunft, in 10-20-30-40 Jahren, wenn das Autofahren teurer werden sollte, wird es enorm wichtig sein, damit Urlauber diese Region kostengünstig erreichen können.
Ein weiterer Partner sind mehrere Hochschule, wie die Universität Kiel und die, die in solche Forschungsprojekten involviert sind. Sie haben großes Interesse, Technologien zu erforschen und zu entwickeln, die auch auf anderen Bahnstrecken eingesetzt werden können.
Dasselbe gilt auch für ein großen Teil der Firmen. Für vieles, was es zu erforschen gilt, braucht es quasi eine reale Bahnstrecke und muss im Konkreten ausprobiert werden. Autonomes Fahren im ländlichen Raum beispielsweise. Das muss zuverlässig funktionieren und um so etwas zu erforschen und entwickeln zu können, braucht man eine Bahnstrecke, welche ein reales Umfeld bietet und dafür ist die Strecke Malente-Lütjenburg perfekt geeignet. Deswegen gibt es ein großes Interesse, eine Bahnstrecke zu haben auf der man die Freiheit hat, Dinge auszuprobieren und zu erforschen, weil sie offiziell stillgelegt ist und kein anderer Verkehr darauf fährt. Natürlich soll das dann auch Lösungen und Techniken erbringen, die man dann für die 400 anderen Strecken verwenden kann und einen Markt generieren kann.
Zudem sollen durch dieses Projekt Nachwuchskräfte gewonnen werden. Wir haben einen großen Fachkräftemangel, im Bahnbereich ganz besonders, und wenn wir in Deutschland das Eisenbahnnetz ausbauen wollen, brauchen wir Ingenieure, Lockführer und Fachkräfte. Dafür müssen junge Menschen begeistert werden, so etwas in diese Richtung zu studieren und im Idealfall auch nach Schleswig-Holstein zu kommen, weil wir hier zum Beispiel mit Vossloh in Kiel einen ganz großen Lokomotivhersteller haben und die Bahnbranche für Schleswig-Holstein eine große Wichtigkeit hat. Studenten sollen für das Thema begeistert werden, damit sie hier in die Region kommen und eventuell bei Projekten schon unterstützen können und sie direkt mit zukünftigen Arbeitgebern Kontakt aufnehmen, die sie einstellen können.
Abschließend kann man sagen, dass das Interesse insgesamt sehr groß für dieses besondere Projekt ist: für die Region, an die Schiene angeschlossen zu werden; für die Forschung, eine Spielwiese zu haben, zu forschen und auszuprobieren und für die Firmen, die Chance zu haben, Fachkräfte zu gewinnen.
3. Wie soll das Projekt mit Blick auf die Zukunft weiter realisiert werden?
Forschung ist immer ergebnisoffen, also kann man das nur schätzen. Die reaktivierte Bahnstrecke Lütjenburg-Malente soll in den herkömmlichen Bahnverkehr einfließen, jedoch erst nach dem Jahr 2030. Das ist die langfristige Planung.
Nach 2030, wenn die Bundesregierung Gelder für Schienenprojekte bereitstellt, hätte das Land Schleswig-Holstein die Möglichkeit, weitere Schienen zu reaktivieren. Wir gehen davon aus, dass das nicht vor 2030 passiert. Für die kommenden acht Jahre haben wir einen Vertrag mit der Universität abgeschlossen, dass sie unsere Strecke nutzen dürfen, um zu forschen. Diese Forschung soll jetzt losgehen, mit ersten kleinen Projekten, wie kleine autonome Solartriebwagen auf der Strecke und im Sommer als Ausflugsverkehr evtl. samstags und sonntags Zugfahrten für die Touristen.
Der Vertrag sieht auch vor, dass, sobald diese Forschungsprojekte früher beendet sind, normaler Zugverkehr entstehen kann. Mit dem ersten richtigen Zugverkehr endet der Vertrag. Ich würde sagen, dass das so ab 2025 realistisch ist.
Bis dahin haben wir ein Stufenkonzept, Stück für Stück immer mehr auf der Strecke fahren zu lassen. Jetzt sind erstmal Ausflugsdraisinen dort unterwegs. Das hat mit Forschung jetzt noch nicht so viel zu tun, sondern ist jetzt für die Touristen cool und führt auch erstmal dazu, dass die Strecke gepflegt wird und ein bisschen Geld in die Kasse kommt. Danach sehen wir weiter.
4. Wie soll das Projekt weiterhin finanziert werden?
Die Unis nutzen die Strecke für Forschungsprojekte. Für Forschungsprojekte ist es üblich, dass sich eine Universität mit einer Firma zusammenschließt. Die stellen Fördergeldanträge. Meistens bei der Bundesregierung, aber auch bei der Landesregierung. Mit diesen Fördergeldern und nach diversen Ausschreibungen aufgrund unterschiedlicher Fördertöpfe entstehen unterschiedliche Teilprojekte, z.B. für „Autonomes Fahren“ und Gefahrenerkennung in den Fahrzeugen oder Antriebstechnick (solar/wasserstoffbetrieben), für die sich unterschiedliche Hochschulen mit Hilfe von Firmen bewerben. Dort ist man dann in Konkurrenz mit andern Projekten. So wirbt man Forschungsgelder ein und finanziert damit die Forschungsprojekte.
Die langfristige Reaktivierung der Strecke im Personenverkehr ist keine Forschung. Das ist Ländersache, also im Interesse des Landes Schleswig-Holstein. Das Land kann das wiederum nur finanzieren, indem es Geld vom Bund kriegt. Wir hoffen natürlich darauf, und ich bin davon überzeugt, im Hinblick auf den Klimawandel, dass die Bundesregierung diese Fördergelder immer weiter erhöht. Momentan passiert das auch gerade. Je mehr von der Bundesregierung an die Länder gegeben wird, desto mehr können die Länder dann in solche Projekte stecken.
5. Siehst du euer Projekt denn als Vorbild für andere stillgelegte Schienen in ganz Deutschland?
Vielleicht ist die Antwort ein bisschen überraschend. Nein!
Die Techniken, die wir hier entwickeln aber sehr wohl. Unsere Forschungsergebnisse sollen natürlich auch deutschlandweit eingesetzt werden. Jedoch ist die Tatsache, dass wir eine GmbH gegründet und die Bahn selbst gekauft haben, meiner Meinung nach, nicht Sinn der Sache. Eigentlich ist das eine Daseinsvorsorge. Der Staat sorgt dafür, dass wir Internet, Strom und Gas haben und entsprechend auch Mobilität. Der Staat baut schließlich auch Straßen. Und das, finde ich, ist die Aufgabe des Staates, sich um die Schienenwege zu kümmern, genau wie bei Straßen. Es ist schon ein Zeichen, dass in diesem Fall die Bürger Initiative gezeigt haben. Das sollte eigentlich nicht Aufgabe privater Initiatoren sein.
Wir hatten die Chance diese Strecke erstmal zu retten. Es war einfach nicht klar, was sonst mit dieser Bahnstrecke passiert wäre. Wenn eine Bahnstrecke erstmal ihren rechtlichen Status verliert, dann ist sie endgültig verloren. Keine Reaktivierung mehr möglich. Ich bin der Meinung, dass weiterhin die Länder, Bundesregierungen und die DB verantwortlich sein sollten, nicht die Bürger.
6. Das heißt der Staat ist für die Mobilitätswende zuständig?
Ich würde nicht sagen alleine und auch nicht für die Mobilitätswende, denn die Mobilitätswende umfasst noch deutlich mehr, als nur die Schiene. Es gibt unzählige Konzepte und es ist auch jeder einzelne mit verantwortlich, z.B. das Fahrrad zu nehmen, anstatt des Autos, um zum Einkaufen zu kommen.
Was die Mobilitätswende angeht, sind glaube ich, alle gefordert.
Auch die Industrie muss entsprechende Dinge entwickeln und in diese Richtung forschen. Aber für die Durchführung von ÖPNV, also von öffentlichem Nahverkehr, dazu gehört der Bahnverkehr, ist meiner Meinung nach der Staat.
7. Was ist deine Motivation in Bezug auf das Projekt?
Gut, ich komme aus der Region, bin in Lütjenburg zur Schule gegangen, also finde ich es natürlich sehr schön, wenn wir irgendetwas vor Ort entwickeln können, was dann auch wirklich hier einen Beitrag leistet.
Ich habe erst Betriebswirtschaftslehre studiert, habe dann in der Unternehmensberatung gearbeitet und z.B. für Automobilunternehmen gearbeitet. Ich habe immer irgendwie das Gefühl gehabt, einen inneren Antrieb, mit dem, was ich tue, irgendwie an Lösungen in Hinblick auf den Klimawandel mit zu arbeiten, ansonsten fühlt man sich immer so machtlos. Ich hatte das Gefühl, dass meine Arbeit nicht ein Teil des Problems sein darf, sondern eher ein Teil der Lösung sein sollte. Das Thema Klimawandel ist so riesig, was soll ich da alleine ausrichten. Ein kleines Projekt, das Sinn macht, ist etwas Konkretes, bei dem ich nicht das große Ganze löse, sondern irgendwie einen Beitrag leisten kann. Das war meine Motivation. Wenn wir Technologien entwickeln, die dazu führen, dass Menschen eine verstärkte Alternative zum Auto haben, wäre das etwas, was mich unglaublich glücklich machen würde. Ich lebe zwar inzwischen in Hamburg, möchte aber, dass meine Familie aus Lütjenburg in Zukunft wieder den örtlichen Schienenverkehr nutzen kann und der Bahnanschluss nicht verloren geht. Die Verknüpfung der persönlichen Ebene mit der Heimatverbundenheit in diesem konkreten Projekt ist mir am wichtigsten.
Lieber Sven, ich danke dir für deine Zeit, deine Motivation und für das informative Gespräch.
Selbstgeführtes Interview am 15.11.2022
Quellen:
https://www.schiene-m-l.de
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2022/06/schleswig-holstein-nahverkehr-deutsche-bahn-strecke-luetjenburg?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com
Fotograf: © David Maupile
Bo, WPK Medienpraxis
Hallo Bo,
Ich finde deinen Bericht sehr gut. Ich finde das Thema auch sehr interessant.
LG